Was bedeutet Digitalisierung? (Teil I)

„Die Digitalisierung“ wälzt heute zunehmend alle Lebensbereiche um und die Frage, ob zum Guten oder Schlechten, ist offen. Es ist für unser aller Zukunft vielleicht nicht ganz egal, ob etwa Kinder ihre Intelligenz kletternd, rennend, lachend, schreiend entwickeln oder durch Tippen und Wischen auf glatten Oberflächen.

Aber wie sollen wir wissen können, was an „der Digitalisierung“ gut und schlecht ist, wenn nicht einmal klar ist, was genau da eigentlich mit uns passiert? Was bedeutet es eigentlich, etwas zu „digitalisieren“?
Hier herrscht eine erstaunliche Begriffsverwirrung – und kaum jemand macht sich diese Verwirrung wirklich klar. Versuchen wir also eine Klärung. Dazu braucht es ein wenig Systemtheorie, d.h. den „Beobachter“ immer mitzudenken.

Begriffe zu klären, heißt: Unterschiede herauszuarbeiten. Der Gegenbegriff zu digital ist analog. Und es heißt zweitens zu fragen: Wer unterscheidet das? Die allgemeinst mögliche Antwort lautet: ein Mensch, und zwar ein Mensch als Beobachter, d. h. als reflektierendes Wesen, als animal reflectans. Beobachtende (reflektierende) Wesen stehen mit einem Bein im Reich der Biologie, mit dem anderen im Reich des Geistes: ein Mensch zu sein heißt, beides bewusst (kognitiv ebenso wie handelnd) auseinanderzuhalten, ohne das Verbindende aber aus dem Blick zu verlieren.

Die Redeweise „digital“ und „analog“ bezeichnet dann zwei unterschiedliche, sich aber gegenseitig notwendig  ergänzende Modi, in denen beobachtende Systeme operieren, um Informationen (= Unterschiede, die für das System einen Unterschied bewirken) zu generieren bzw. zu prozessieren – und sich so als System zu reproduzieren.

Analog operieren heißt, im Medium von Bildern zu operieren; d.h. der Fokus liegt hier nicht auf bestimmten Sinneseindrücken, sondern auf Relationen zwischen ihnen. Aus dem chaotischen Strom der Sinneseindrücke werden – auf dem Hintergrund eines Gedächtnisses (>> digital) – gleichbleibende Beziehungen herausgefiltert und mimetisch so prozessiert, dass ein sicherer nächster Anschluss (ein Sprung ins Ungewisse) gelingt – wobei das Bild es gelungenen Anschlusses im Gedächtnis (>> digital)  wieder einen Ein-Druck hinterlässt.
„Mimetisch“ heißt: in Resonanz mit einer (unbestimmten) Umwelt sich durch Vor- und Nach-ahmen (eine Art Herantasten) einer möglichen Zukunft an-ähneln. Das geschieht:
spielerisch: ohne vorgegebenen Zweck, dennoch sich im Rückblick als zweck-mäßig erweisend;
regel-los: ohne vorgegebene Regel, aber regel-(er-)findend.
Das entspricht dem „ästhetischen Urteil“ bei Kant: Zeckmäßigkeit ohne Zweck, Gesetzmäßigkeit ohne Zweck.

himmel-und-hoelle
Himmel oder Hölle? Analog oder digital?

Digital operieren heißt, im Medium von „Dingen“ oder „Objekten“ zu operieren, d. h. von Sinneseindrücken, deren Bedeutung oder Geltung durch die Nische des Systems (z. B. Kultur) a priori fest-gelegt ist (man kann auf sie zeigen und weiß ohne weitere Reflexion, was gemeint ist). „Objekte“ können technisch prozessiert werden, d. h. im Medium von Algorithmen. Ein Algorithmus ist eine Sequenz von Anweisungen, deren Befolgen sicher und wiederholbar zu bestimmten (erwünschten) Ergebnissen führt. Algorithmen bilden das Gedächtnis des Systems, werden aber (hoffentlich!) den Umständen laufend angepasst (>> analog).

In Teil II will ich mich mit der Frage befassen, was das für unser Mensch-Sein bedeutet, d. h. was eigentlich menschliches Bewusstsein sein könnte im Unterschied zum Bewusstsein von Tieren oder von Maschinen.

p.s.: Für Anregungen danke ich Rolf Todesco.

 

26 Kommentare

  1. ich bräuchte eine Veranschaulichung zum Ausdruck „im Medium von Bildern zu operieren“. Sie schreiben nur, worauf DABEI der Fokus liegt, aber das DABEI kann ich bislang keinem Verfahren zuordnen.
    Allerdings unterstelle ich dabei einen Operations-Begriff, den Sie vielleicht nicht meinen:
    Operationen nehme ich als konstruierender Beobachter wahr, wo der deutende Beobachter Handlungen wahrnimmt. Als Beobachter kann ich also beispielsweise davon sprechen, dass jemand einen Brief schreibt (Handlung) oder davon, dass Zeichen nach Regeln angeordnet werden (Operation). Der Beobachter wählt die Perspektive und entscheidet so, ob er eine Handlung (mit einem sinn-orientierten Handler) oder eine Operation beobachtet.
    Wenn Sie „Operation“ anders verwenden, dann würde mich interessieren wie. Wer macht wie was, wenn er in einem Medium operiert?

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    1. mit „Operieren“ meine ich das Generieren bzw. Prozessieren von Unterschieden, die einen Unterschied bewirken…
      Aber vielleicht haben Sie ja eher Schwierigkeiten mit der Idee, dass ich zwei unterschiedliche Modi des Operierens unterscheide?

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  2. nein, nicht dass Sie zwei Modi unterscheiden, sondern dass Ihr Operieren wie jenes im Radikalen Konstruktivismus eine „mentale“ Geschichte ist, die nur jeder für sich selbst beobachten kann, wobei dann beobachten wiederum keinen Ausdruck in der äusseren Welt findet.
    Wenn ich etwas als meine Gedanken erlebe, kann ich entweder nur berichten, dass ich irgendwie (in verschiedenen Modis) denke, oder ich kann berichten, woran, an welchen Gegenstand ich denke. Das Prozessieren von Unterschieden ist aber kein Gegenstand, sondern hochabstrakt, wenn die unterschiedenen Seiten nicht genannt werden.

    Ich bin mir im Verlauf unserer Gespräche immer klarer geworden, wo ich dieser Art Konstruktivismus nicht folgen kann. Ich hatte vor vielen Jahren eine längere Diskussion mit E. von Glasersfeld über dessen „Mentalismus“, damals war mir die Sache noch nicht so klar, mehr intuitiv. Das Gespräch mit Ihnen hat mir jetzt sehr geholfen, meinen „Materialismus“ zu explizieren. Dabei tritt aber eben auch meine Behinderung zu tage, dass ich hochabstrakt nicht denken kann. Das setzen Sie aber voraus, wo Sie Unterschiede prozessieren.

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    1. Solche Art von Behinderung kenne ich auch von mir. Ich habe gelernt, sie als einen Segen zu sehen, weil man dann einfach nicht mehr alles hinnimmt, was für andere unhinterfragt selbst-verständlich ist. A la Feuerzangenbowle: „Jetzt stellen wir uns mal janz dumm!“

      Was den Innen-Außen-Unterschied, das „Mentale“ und das „Anfassbare“, und seine Überbrückung angeht, so hoffe ich, im zweiten Teil etwas sagen zu können. Schlüsselbegriffe sind dabei „Geste“ und Mimesis. Eine Geste ist einmal mir selbst (mental) zugänglich und zugleich ist sie anderen Beobachtern (anfassbar) sinnlich zugänglich.

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  3. …da war einiges unüberlegt und ungenau; ich muss wohl Korrekturen vornehmen. Ich bin eben noch dabei, die Sprache zu (er)finden, mit der ich meine Leitfrage („was bedeutet es, Mensch zu sein?“) stellen und beantworten kann. (was wäre eigentlich Ihre Leitfrage? Gibt es so etwas bei Ihnen?). Vergleichbares kenne ich in der Systemtheorie nicht; nur bei G. Bateson und G. Günther finde ich Ähnliches.

    Also noch mal von vorn:
    ein autopoietisches System (vom Einzeller bis zum sozialen System)
    generiert und prozessiert Unterschiede mittels rekursiven Verknüpfens von — allgemein gesprochen — KOGNITION und VOLITION;
    (speziell gesprochen: von Motorik/Sensorik; Wahrnehmen/Begwegen; Erleben/Handeln; Inszenieren/ Aufführen von Geschichten)….
    und zwar: im Medium von BILDERN.

    Bilder haben so gesehen Doppelcharakter – wie so vieles im Leben 😉 .
    – qua physischer Gestalt zeigen sie etwas Nicht-Physisches AN (transitiv) = Kognition,
    – zugleich zeigen sie AUF etwas (intransitiv), was erst noch physisch realisiert werden muss = Volition.

    Kognition reproduziert sich DIGITAL, d.h. durch technisches Sequenzieren diskreter Objekte, die ihre Bedeutung von der Nische des Systems erhalten.
    Volition reproduziert sich ANALOG; d.h. durch mimetisch gesteuerte Variation von Mustern (=Beziehungen zwischen Objekten).

    Was genau dann „Operieren“ heißen könnte, ist mir im Moment nicht ganz klar. auf jeden Fall verstehe ich Operieren als die Reproduktion von Elementen des Systems (z.B. Moleküle, Vorstellungen etc.) durch die Interaktion der Elemente des Systems.

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  4. Meine (von mir durchaus als systemtheoretisch verstandene) Leitfrage lautet: Wie kann ich für mich sinnvoll beschreiben, was ich mache. Und die von mir aktiv verfolgte Strategie dazu bezeichne ich als Systemtheorie. Innerhalb dieser Strategie beobachte ich, dass ich durch Fragen Phänomene generiere, für die ich Erklärungen suche.
    Das wohl Naive an dieser Geschichte besteht darin, dass ich sie für nativ, aber nicht hintergehbar halte. Mir scheint im Sinne meines Materialismus, dass ich mich erhalte, also meine Lebensmittel produziere. Alles, was ich sonst noch tue, sehe ich in dieser Perspektive des toolmaking animals.
    Haben Sie eigentlich meine Systemtheorie einmal angeschaut?

    G. Günther ist für mich hochabstrakt im besten Sinne des Wortes: Mathematik. G. Bateson dagegen schreibt so, dass er sehr viele Interpretationen zulässt (wenn man ihn überhaupt liest, was beispielsweise Luhmann nachweisbar nicht getan hat). Seine Formulierung des Unterschiedes, der einen Unterschied macht, hat es selbst nicht mit „mentalen“, sondern mit sehr materiellen Beispielen erläutert. Die Unterschiede sind nicht im Denken oder in der Wahrnehmung, sondern in der äusseren Welt.
    Aber unabhängig davon habe ich die Leitfrage von G. Bateson nie recht erkennen können.

    Ihre Formulierung beginnt auch in der neusten Variante mit einem autopoietischen System, das keine praktische oder pragmatische Gründe (oder Bedürfnisse) hat. Sie schauen quasi von aussen, was das System tut, ohne sich dafür zu interessieren, warum das System das tut. Ich glaube, das hängt mit Ihrer Leitfrage zusammen. „Was bedeutet es, Mensch zu sein?“ ist eine recht eigenartige Formulierung. Ich missverstehe sie wohl, wenn ich frage: „Was ist das Wesen des Menschen?“

    Und zu Ihrer doppelten Bild-Bestimmung bräuchte ich auch wieder ein Beispiel, dass auch den Unterschied zwischen Kognition und Volition sichtbar macht.

    Ach, Sie sehen, meine Fragen sind alle so einfälltig-praktisch. Ich bin kein Philosoph. Ich bin Techniker und kann das nicht lassen. Toolmaking ANIMAL beschreibt das wohl sehr gut.

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    1. wo könnte ich denn ihre Systemtheorie anschauen?

      „…habe ich die Leitfrage von G. Bateson nie recht erkennen können.“ Ist doch ganz einfach: das Muster das (Geist und Natur) verbindet.

      >> „Was bedeutet es, Mensch zu sein?“ ist eine recht eigenartige Formulierung. Ich missverstehe sie wohl, wenn ich frage: „Was ist das Wesen des Menschen?“ <<
      Das ist wirklich ein Missverständnis, weil ontologisierend. Ich meine es eher so wie es wohl auch Maturana meint: Was müssen wir als Menschen tun oder lassen, wenn wir uns als physisch-geistige Wesen, als Beobachter, reproduzieren wollen? Die Antwort wird in jeder Epoche etwas anders ausfallen.
      Wichtig ist mir die einsicht, dass Menschen sich in und mit den Geschichten erschaffen, die sie gemeinsam fortlaufend, hier und jetzt, inszenieren und aufführen. und zwar auch und gerade: körperlich. Die Frage wäre dann: wie sollten wir (uns selbst und anderen) unsere Geschichten erzählen, damit wir uns nicht den Boden unter den Füßen untergraben?

      Ein Beispiel für "Geste" werde ich im zweiten Teil bringen.

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      1. Meine Systemtheorie
        http://www.hyperkommunikation.ch/crashkurse/crashkurs_systemtheorie/ck_systemtheorie_top.htm
        das waren auch die Unterlagen zu meinen Vorlesungen an der Uni Zürich.

        „das Muster das (Geist und Natur) verbindet“ – ja, das erkenne ich, aber ich verstehe nicht, was dabei gemustert ist. Muster ist wie Struktur eine Hypostasierung, für sich alleine hochabstrakt.
        Ich kenne wohl den Anfang von Geist und Natur, wo G. Bateson fragt, woran ich bei einem gekochten Krebs erkennen könne, dass es sich nicht um Artefakt handle, aber ich habe seine Antwort nicht verstanden, resp nicht anders verstanden, als das auf eben diesem uns gemeinsamen Muster beruhe: unser gleiches in der Natur entstanden zu sein.

        Die (Leit)Frage „Was müssen wir tun?“ stelle ich mir ja auch. Ich frage aber wohl viel praktischer, wo ich antworte: Lebensmittel herstellen. Geschichten erzählen, erhält uns nicht. Es sind sehr spezifische Geschichten, die uns helfen die Produktionsmittel zu entwickeln.
        Meine Grundthese dazu ist, dass sich die Menschen nicht wahrnehmbar (weiter) entwickeln oder entwickelt haben. Wir entwickeln die Produktivkraft. Sehen Sie das anders?

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  5. Nachtrag. Sie schreiben oft von der Geste, aber Sie benützen sie nie als Beispiel, oder genauer, Sie benützen „Geste“ als Beispiel, aber nie eine konkrete Geste, die ich als Geste deuten kann.

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    1. hier ein Beispiel. Nehmen wir Ego und Alter Ego, die beide mit der bekannten zweigriffigen Baumsäge einen Baumstamm zersägen wollen. Ihre Handbewegungen sind Gesten.
      Einer muss anfangen. Also ahmt Ego eine Bewegunge vor, die sich für ihn in bestimmter Weise anfühlt und von der er auch ein wie auch immer geartetes inneres Bild hat. Alter Ego ahmt nach, d.h. er folgt einfach der Bewegung (möglichst ohne viel Widerstand); auch er hat davon eine Empfindung usw. Indem sie nun ihre Bewegungen gegenseitig vor- und nach-ahmen und so koordinieren, dass der Stamm schließlich effektiv zersägt wird, koordnieren sie zugleich auch ihre inneren Bilder.

      Bereits für Margret Mead ist es der „Mechanismus der Geste“, der angemessene Antworten unterschiedlicher individueller Organismen auf das Verhalten des jeweiligen Anderen, die in einen solzialen Prozess involviert sind, möglich macht. (vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 332.
      In diesem KOntext kommt L. dann (S.336) auf das Sägen zu sprechen…

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  6. hmmm… das finde ich ein sehr seltsames Beispiel für Gesten, weil ich meinte, Gesten seien nonverbale Zeichen, wobei ich beispielsweise an Winken für Grüssen denken. Dass Bewegungen der Arbeit als Gesten aufgefasst werden, ist mir fremd. Wenn ich eine Schuhmacher zuschaue, deute ich seine Bewegungen nicht als Aussagen mit der Bedeutung „ich stelle gerade Schuhe her“. Vielmehr sehe ich dann gerade keine Gesten, sondern produktive Handlungen.
    Aber gut, da Sie auf N. Luhmann verweisen, ist mitgegeben, dass es nur Kommunikation gibt, dass jede Bewegung Kommunikation ist, weil bei ihm Herstellung und Arbeit gar nicht existieren.
    Einmal mehr haben wir ein Wort, dass wir nicht vergleichbar verwenden. Für mich sind Gesten Handlungen mit einer Zeichenabsicht. Aber keinesfalls verstehe ich jede beliebige Handlung so. Holzsägen kann ich nur mutwillig als Zeichengeben verstehen.

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    1. ich bin auch erst kürzlich darauf gekommen, dass man herstellungs-Bewegungen auch als Gesten sehen kann / muss. Arbeit und Sprache hängen evoltionär zusammen, eines gibt es nicht ohne das andere. Affen arbeiten nicht, ebenso wie sie nicht zeigen („apes don’t point‘, Tomasello)
      Ich lese gerade Leroi-Gourhant, auf den ich durch einen artikel von toni hildebrand aufmerksam wurde: „Bild, Geste und Hand.“ Finden Sie im Internet, leider lässt sich der link nicht kopieren…

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    2. hier ist der link (ich bin mit den mysterien von wordpress immer noch nicht vertraut):
      http://www.gib.uni-tuebingen.de/image?function=fnArticle&showArticle=198

      >> „das Muster das (Geist und Natur) verbindet“ – ja, das erkenne ich, aber ich verstehe nicht, was dabei gemustert ist. <<
      Ich habe es ehrlich gesagt zuerst auch nicht verstanden. Dennoch habe ich es zum Titel und Motto meiner homepage gemacht. Anfangs hatte ich nur ein Gefühl oder auch Bild (sozusagen innere Gesten), das ich aber nur schwer in Sprache hätte ausdrücken können, wenn mich jemand gefragt hätte.
      Wir dürfen uns das Muster nicht wie etwas vorstellen, was einem materiellen Träger eingraviert ist oder so. Es ist eher wie ein Tanz, wie ein – als solcher nicht fassbarer, nicht fest-stellend beobachtbarer – groove, ein bi- oder poly-stabiles System. Nehmen wir noch mal die beiden Säger. Das Muster "ZEIGT SICH" in ihren Körperbewegungen ("Gesten"); zugleich ZEIGEN die Bewegungen AUF etwas Nicht-Materielles, das wir uns als Beobachter (auch die beiden Säger beobachten) innerlich vor-stellen müssen. Ohne dieses innere Vor-stellen gibt es keine koordinierte Bewegung, nur Chaos.
      Beide Säger sind nun "Komponenten derselben Geschichte". (sh. hierzu GB 'Geist und Natur', S. 22 f.
      Und darum sind die Geschichten wichtig, die wir uns erzählen. Sie sind aus meiner Sicht unverzichtbarer Teil des materiellen Produktionsprozesses.

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      1. …ergänzen möchte ich noch: die beiden Säger orientieren sich mittels Körperbewegung wechselseitig auf ihren jeweiligen kognitiven Bereich (das innere Bild, die Vorstellung), und zwar solange, bis das nicht mehr nötig ist und es quasi von selbst läuft: die Grenze zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten bricht zusammen; der Säger wird zum Sägen.

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      2. sorry, noch eine wichtgige Ergänzung: Schimpansen stellen auch keine Werkzeuge her (z.B. Sägen), in denen das diese Geschichte auf-gehoben ist und mit denen sie sich wiederholbar abrufen lässt.

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  7. ja, alles hängt mit allem zusammen. Das ist kein Muster, sondern Chaos. Und ja, es mag mentale Muster geben, irgendwo im Innern eines Beobachters, die er selbst nicht ausdrücken und die kein anderer Beobachter erkennen kann. Das ist Fiktion.
    Aber jederunächst ein sehr materielle, Luftschwingungen, die der Erzähler mündlich mit seinem Körper erzeugt, und die sowohl er selbst als auch andere hören können, oder matereielle Schriftzeichen, die er mit seinem Körper herstellt und die er selbst und andere sehen können.
    Die beiden Sägenden kann ich sehr wohl auch als Tanzende sehen, die nichts herstellen. Als Tanzende verkörpern sie ein Muster, das sie selbst und ich beobachten können, weil es quasi materiell ist, eben körperlich erscheint.
    Und gut, natürlich kann MAN den Ausdruck Geste auch etwas unüblich verwenden. Ich kann jede Körperbewegung als Verweis auffassen, wenn MAN will. Ich will es (noch) nicht, es macht für mich (noch) keinen Sinn. Ich nehme das, als eine weitere Begrenztheit meinerseits, die andere von nichts abhalten soll.
    Erzählungen haben nicht nur ein Muster, sie verweisen auch auf Muster. Dabei meine ich aber nicht mentale Muster, die ich aufgrund der Erzählung in mir mental erzeugen müsste, sondern auf Muster, die ich in der unterstelleten Welt ausserhalb mir erkennen kann. In diesem Sinne ist dann hoch relevant, nicht nur DASS sondern auch WAS in welcher Reihenfolge erzählt wird. Meine Leitfrage ist in diesem Sinne: Wo soll ich mit meiner Geschichte anfangen? Darin sehe ich sozusagen die Kunst des Erzählens.

    Den verlinkten Aufsatz schaue ich heute gerne noch an. Vorerst aber muss ich Ihnen wieder danken, Sie helfen mir bei meinem Erzählen sehr, auch wenn ich (noch) nicht sehen kann, wie wir am gleichen Baumstamm sägen.

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    1. ich muss Ihnen ebenso danken.

      Wenn wir uns die beiden Tänzer vorstellen: auch sie „stellen her“, und zwar in einer symbolischen, rein geistigen Welt. Sie stellen eine Geschichte her, ihre gemeinsame Geschichte. Die Menschen-Welt entsteht im Tanz. Wir inszenieren unsere Geschichte und führen sie kontinuierlich auf. Auch heute noch in einer Welt, deren Takt allerdings das Geld als Kommunikations-Mittel vorgibt. Die gesamte Ge-schichte steckt noch in uns.

      Auch Schimpansen „tanzen“. Jane Goodall hat beobachtet, wie sie sich an einem Wasserfall treffen, in eine Art Verzückung geraten und sich rhythmisch bewegen, manchmal auch gemeinsam. Aber (!): sie be-halten das nicht; es wird nicht zu einer (verinnerlichten) Haltung. Es wird nicht zu ihrer gemeinsamen Ge-schichte.

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  8. jetzt wirds als Text hier etwas kompliziert, aber wir haben ja auch eine innere Orientierung 😉
    zu Ihren obigen Nachträgen:

    auf den einzelnen Sägenden bezogen, ist das mentale Bild ein Selbstbild, mit welchem ich meine Bewegungen körperlichen Bewegungen im Sinne eines Soll-Ist-Vergleiches nachführe. Dazu spielt der jeweils andere Sägende nur die Rolle der Umwelt. Wenn ich beide Sägende zusammen beoachte, beobachte ich eben nicht mehr mich selbst sondern ein anderes System, zu welchem ich aber kein Selbstbild habe, weil es auch nicht meinem Selbst entspricht. Diese Unterscheidung behandle ich als strukturelle Koppelung.

    Und ja, Tiere (etwa Schimpansen) stellen keine Werkzeuge her. Sie erkennen nicht, dass die Mittel, die sie herstellen und verwenden, aufgehoben werden könnten, also immer wieder verwendet und weiterentwickelt werden könnten. Damit charakterisiere ich die Kehrseite der Unterscheidung toolmaking Tiere. Ich habe damit den naturgeschichtlichen Aspekt des toolmaking animal gekennzeichnet und kann in so auch in mir erkennen.

    Und jetzt noch zu Ihrem letzten Beitrag. Ich verwende den Ausdruck „herstellen“ bewusst terminologisch enger, ausschliesslich für materielles herstellen und spreche in anderen Fällen von erzeugen. H. Maturana ist darin sehr ungenau und spricht von „hervorbringen“. Aber das betrifft nur die Wortverwendung, die Redeweise. Ihre Formulierung, wonach Menschen ihre Geschichte „aufführen“ (nicht AUSführen), passt zu Ihrer Auffassung, wonach solche Aufführungen als Gesten gesehen werden. Sie verzichten damit auf die Unterscheidung „Theater spielen“, weil ihnen alles als aufgeführt erscheint. Und dazu passt dann natürlich auch die Praxis des Tanzens, in welcher die Unterscheidung AUF-/AUSführen keinen Sinn macht, weil tanzen eben keine Objekte herstellt, sondern sich selbst genügt, also – mit Aristoteles – Praxis und keine Poietik ist.

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  9. „…auf den einzelnen Sägenden bezogen, ist das mentale Bild ein Selbstbild, mit welchem ich meine Bewegungen körperlichen Bewegungen im Sinne eines Soll-Ist-Vergleiches nachführe. Dazu spielt der jeweils andere Sägende nur die Rolle der Umwelt….“
    Ich glaube, ich konstruiere das ganz anders als Sie. Es ist doch das Privileg menschlicher Beobachter, explizit zwischen Innen und Außen zu unterscheiden. Jeder Beobachter unterscheidet in seiner Innenwelt zwischen einer Innen- und einer Außenwelt. D.h. er kann z.B. die Bewegung der SÄge einmal sich selbst und dann wieder dem Anderen zuschreiben. Er weiß, dass die von ihm ausgeführten Gesten gleichzeitig auch auch für Andere wahrnehmbar sind.
    Etwas ganz anderes ist es, wenn ich als Beobachter der Szene (etwa als Soziologe) von außen beschreibe, wie beide zusammarbeiten. Dann sehe ich das Vermittelnde der Geste; der „Mechanismus der Geste“ (M. Mead, s.o.) als das Scharnier zwischen Beobachtern, die wechselseitig für einander intransparent sind und für die es unwahrscheinlich ist, dass sie je zusammenfinden.
    Dieser Unterschied ist mir wichtig.

    Zu praxis (handeln) und poiesis (herstellen). Handelnd kommunizieren Menschen im Medium von Symbolen und stellen dabei – aus Sicht eines Beobachters / Soziologen und sozusagen hinter ihrem Rücken – ihre res communis, ihr Gemeinwesen, ein soziales System her. Das ist natürlich ein anderes Herstellen als das Herstellen von materiellen Artefakten.
    Dieser Unterschied ist mir wichtig.

    Zu praxis (handeln) und poiesis (herstellen). Handelnd kommunizieren Menschen im Medium von Symbolen und stellen dabei – aus Sicht eines Beobachters / Soziologen und sozusagen hinter ihrem Rücken – ihre res communis, ihr Gemeinwesen, ein soziales System her. Das ist natürlich ein anderes Herstellen als das Herstellen von materiellen Artefakten.

    Zum Theater-spielen: Ich kann durchaus „Theater-spielen“ unterscheiden, muss dann allerdings fragen, was das dann bedeutet; also wie es dazu kommt, dass in der griechischen Antike auf einmal das Theater-spielen aufkommt. Also Theater spielen innerhalb des großen Gesellschafts-Theaters.

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  10. damit scheint mir, ist unsere Differenz sehr gut hervorgebracht. Innerhalb des grossen Gesellschaftstheater sind alle Handlungen Gesten. Und umgekehrt, wenn ich Gesten wahrnehme, beobachte ich ich sie als Teile einer Inszenierung,
    Ich fühlte mich einfach nie in der Lage, mein Leben als Inszenierung zu begreifen. Ich habe immer die Not-Wendigkeit der Arbeit erlebt, Von inszenieren kann ich nur sprechen, wenn ich verschiedene Rollen besetzen kann, also wenn ich verschieden Möglichkeiten erkennen kann.
    Die griechische Antike ist eine Fiktion, in welcher die Menschen tatsächlich nicht arbeiten und sich deshalb inszenieren können. Hätte ich in dieser Zeit gelebt, wär ich wohl kein Mensch sondern ein Sklave gewesen. Ich hätte wohl auch damals die Not erkennen müssen.

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  11. Ich frage mich, was genau Inszenieren bedeuten könnte, Inszenieren im großen Welttheater, i.U. zu „Aufführen“. Ich sehe es im MOment so:
    Inszenieren bedeutet, Artefakte her- und bereitzustellen, und zwar materielle (Werkzeuge etc.) ebenso wie soziale (Rollen); während Aufführen Performanz heißt, d.h. die Akteure schlüpfen in die bereitgestellten Rollen, nehmen die bereitgestellten Werkzeuge in die Hand und füllen das ganze mit Leben.
    Das Verhältnis von inszenieren und aufführen sehe ich wie das Verhältnis Flussbett und Fluss.
    In die Artefakte (Inszenieren) gehen Gesten nur als EINGEFRORENE Gesten ein (die Säge z.B. hält bestimmte Handgriffe fest, orientiert die Performanz der Gesten, während sie andere ausschließt); dadurch wird sie zum KOmmunikationsmedium zwischen (wechselseittig intransparenten) Beobachtern; während beim Aufführen die PERFORMATIVE Geste zum Zuge kommt.

    Damit würde auch die Nabelschnur sichtbar, die die Autopoiesis der Gesellschaft mit der Lebenswelt verbindet und die Luhmann großzügig ausgeklammert hat (um statt dessen einfach vorauszusetzen: es gibt Systeme).

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  12. „Ich fühlte mich einfach nie in der Lage, mein Leben als Inszenierung zu begreifen.“
    Wer kann denn schon sein Leben inszenieren? Vielleicht ein Narzisst, aber es ist Illusion.
    „Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben!“ (Faust, Osterspaziergang).

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  13. Ihre Unterscheidung „Inszenieren versus Aufführen (Performanz) hilft mir sehr, Ihre Perspektive (und darin der die Geste) besser zu erkennen – und damit verbunden natürlich auch meine eigene im Sinne der erkannten Differenz.

    Ihre Formulierung:
    „… die Akteure schlüpfen in die bereitgestellten Rollen, nehmen die bereitgestellten Werkzeuge in die Hand und füllen das ganze mit Leben.“
    ist abstrakt. Ich schlüpfe nicht in Rollen, weil ich kein Theater spiele. Und die Werkzeuge, die ich in die Hand nehme, wurden nur zu einem realtiv bedeutungslosen Teil für mich SO bereitgestellt, dass ich mich als Eigentümer der Produktionsmittel erkennen kann.

    Wenn ich das grosse Welttheater quasi von aussen als solches sehen würde, könnte ich sehen, dass ein Schauspieler wie ich die Rolle des Lohnarbeiters oder des Sklaven spielt, und dass er in dieser Rolle Industriemaschinen bedient.
    Dann könnte ich auch sehen, ob derjenige seine Rolle gut spielt, ob seine Gesten noch holperig oder bereits natürlich wirken, ich könnte seine Performance beurteilen in Relation zu einem stimmigen Bild.
    Wenn ich auf der Theaterbühne jemanden sägen sehe, weiss ich natürlich, dass er als Schauspieler das Sägen spielt, mir also Gesten aufführt.

    (Klammer: Eines der wichtigsten Bücher am Anfang meines Soziologiestudiums, das mir dann aber auch die konventionelle Soziologie unmöglich machte, war „Kritik der Rollentheorie“ von Frigga Haug).

    Und Sie schreiben ja auch dazu, dass ich nicht schiebe, sondern geschoben werde, so wie den Schauspielern gesagt wird, was sie in welcher Rolle zu spielen haben.

    Und eine andere Redeweise von Ihnen ist mir jetzt auch bewusster geworden:
    „In die Artefakte gehen Gesten nur als EINGEFRORENE Gesten ein“

    Auch in diesem „eingehe“ erkenne ich ein Abstraktion. Die „Geste“ (im Sinne einer Tätigkeit) des Sägens wird durch die Säge erst hervorgebracht, während „einfrieren“ eher dafür steht, dass etwas vorhandenes verfestigt wird. Ich sehe schon, dass man einfrieren auch anders lesen kann.
    „die Säge .. orientiert die Performanz der Gesten, während sie andere ausschließt“ so wie das Textbuch eines Theaters die Performance „orientiert“.

    Ich habe aktuell viel für mich klären können, was natürlich nicht heisst, dass ich damit auch Sie etwas besser verstanden hätte.

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  14. Das menschliche Leben ist – wie alles Leben – Mühe und Plage. Bei Aristoteles heißt PONOS, unterschieden von POIESIS und PRAXIS.
    Die Idee des Menschen – so wie die Evolution sich das „gedacht“ hat – ist es, Poiesis und Praxis zu verbinden (mit dem Muster, das verbindet).

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  15. >> Ihre Formulierung: „… die Akteure schlüpfen in die bereitgestellten Rollen, nehmen die bereitgestellten Werkzeuge in die Hand und füllen das ganze mit Leben.“
    ist abstrakt. Ich schlüpfe nicht in Rollen, weil ich kein Theater spiele. Und die Werkzeuge, die ich in die Hand nehme, wurden nur zu einem realtiv bedeutungslosen Teil für mich SO bereitgestellt, dass ich mich als Eigentümer der Produktionsmittel erkennen kann. <<

    ja, das sehe ich auch so. "Schlüpfen" heißt auch: unter den gegebenen Bedingungen bleibt uns nichts anderes übrig, wenn wr über-leben und nicht verhungern wollen. so wie das Wasser einfach in das – von ihm selbst geformte – vorgefertigte Bett strömt…

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