Lebendige Intelligenz (1)
Evolution hat uns heute an einen Punkt gebracht, an dem wir die Intelligenz, die sie uns mitgegeben hat, dazu nutzen können, sie technisch immer täuschender nach– und in unsere Wirklichkeit zugleich immer machtvoller ein-zubauen.
Künstlich hergestellte Intelligenz lebt nicht in-Zeit, aber sie verleibt sich Zeit ein: unsere Lebenszeit – und wenn wir nicht sehr genau aufpassen, wendet sie eher uns (unser Denken und unser Sprechen/Hören) an, als dass wir sie (denkend/sprechend) anwenden. Das Problem dabei ist: immer wenn wir uns in der von ihr generierten Wirklichkeit einrichten und Pläne machen wollen, geht es uns wie Sisyphos: wenn wir denken „jetzt hab ich‘s“, fehlt noch etwas und alles rutscht uns wieder aus den Händen…
Das Problem, dass Wirklichkeit ungreifbar ist, ist nicht neu; es ist von Anfang an Grundmerkmal der conditio humana: Wirklichkeit bildet das (notwendig unsichtbare) Medium, in dem wir Menschen uns als Denkende/Sprechende wie die Fische im Wasser bewegen. Was heute aber grundlegend neu ist: Erstmals in der Geschichte tritt uns menschliches Denken unabhängig von uns als Individuen und daher scheinbar objektiv in real existierender Form gegenüber.
Das bedeutet eine tiefgreifende Zäsur, einen Epochenbruch – vergleichbar nur mit der Emergenz von Wort-Sprache vor ca. 50.000 bis 70.000 Jahren; bzw. mit dem Erscheinen von Maschine als Denk-Form in den ersten hierarchisch organisierten Zivilisationen vor ca. 5.000 Jahren. Beide Male hatten die Menschen noch über viele Generationen hinweg ausreichend Zeit, ihre Denkform und ihre Lebensweise auf die neue Form von Wirklichkeitserzeugung einzustellen. Heute ist die Zeit dafür extrem kurz und sie scheint sogar immer kürzer zu werden.
Bisher verstehen wir bestenfalls im Ansatz, was wir da tun bzw. was da mit uns geschieht. Seit Kants „Kopernikanischer Wende“, seit Darwin, seit Einstein und Heisenberg, seit Gödel und Wiener (Kybernetik), seit Wittgenstein und seit Maturana/Luhmann (Autopoiesis) sind die dafür notwendigen Denkwerkzeuge verfügbar; dazu kommt seit kurzem R. Peyns mehrwertige Formen-Logik. Es käme nur darauf an, sie zusammen zu denken.
Ein erster Schritt dahin wäre, innezuhalten, sich unser Nicht-Verstehen überhaupt erst einmal einzugestehen…
…um sich dann zu fragen: Welche Logik, welche Denkformen, welche Sprache, welche Lebensweise müssten wir entwickeln, um hoffen zu dürfen, mit Künstlicher Intelligenz Leben auf diesem Planeten zu bewahren und zu fördern – statt, wie im Moment zu befürchten, es immer mehr auszuhöhlen und möglicherweise bald unwiderruflich zu zerstören?
In einer Folge in sich abgeschlossener, aber aufeinander verweisender Beiträge will ich mich dieser Frage aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Das bietet Ihnen als Leser*in die Möglichkeit, sich Stück für Stück ihr eigenes Bild davon zusammenzusetzen, was Lebendige Intelligenz meinen könnte.
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Was ist der Mensch? Auf diese uralte Frage musste die Menschheit (was das meint, sei hier erst einmal dahingestellt) nach den erwähnten Epochenbrüchen jeweils eine grundlegend neue Antwort finden. Es ging nun (und es geht erst recht heute, im Zeitalter von KI) darum, menschliches Erkennen (Handeln immer eingeschlossen) „öko-logisch“ zu begründen, das heißt aus einer Haltung heraus, die es dem Erkennenden/Handelnden erlaubt, sich selber (paradoxerweise) „immer schon“ als Teil der Welt zu begreifen, die er (er)lebt – und das, ohne damit sich selber (als lebendem, in-Sprache existierendem) Wesen den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Dieser (öko-logische) Erkenntnis-Modus heißt spätestens seit Maturana und Luhmann „Beobachten“ – wenngleich seine öko-logische Begründung bis heute auf sich warten lässt. Die Bilder F. C. Eschers führen uns die dem Beobachten immanente Paradoxie anschaulich vor Augen.
Das für die Lösung dieser Paradoxie notwendige Paradigma hat Kant mit seiner „Kopernikanischen Wende“ bereits vor 250 Jahren formuliert: mit der Unterscheidung der apriorischen Anschauungsformen von Raum und von Zeit, mit der Unterscheidung bestimmender und reflektierender Urteilskraft (samt ihrem lebendigen Kern, der Einbildungskraft) und schließlich mit der kritischen Prüfung reiner ebenso wie praktischer Vernunft. Seine Intention, beide aus einem einheitlichen Prinzip heraus zu denken (d. h. „öko-logisch“) konnte Kant beim damaligen Stand von Wissenschaft noch nicht verwirklichen; Selbstbewusstsein blieb für ihn notwendigerweise noch transzendental, d. h. lediglich die Bedingung für die Möglichkeit von Erkenntnis und damit für das, was wir heute „Beobachten“ nennen. Vermutlich ist das der Grund dafür, dass Kants immanent öko-logische Intention kaum zur Kenntnis genommen wurde.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts zeigte sich dann aber in unterschiedlichsten Wissensdisziplinen, in Natur- und Geisteswissenschaften, scheinbar unabhängig voneinander immer mehr die Notwendigkeit, das Erkenntnis-Subjekt als einen Beobachter zu konstruieren, der sich selbst als Teil der Wirklichkeit beobachtet, die er beobachtet. Die darin liegende Paradoxie bereitete Schwierigkeiten und wurde von unterschiedlichen Seiten beleuchtet.
In den Geisteswissenschaften ist hier in erster Linie Edmund Husserl zu nennen. Bewusstsein ist für ihn wesentlich leibhaft verfasst und intentional orientiert. Epistemologien, die Wirklichkeit lediglich von einem ort- und zeit-losen Standpunkt beobachten, können menschliche Lebenswelt daher nur verfehlen. Die Frage, wie Bewusstsein sich öko-logisch verortet, d. h. so, dass es sich als in Raum und Zeit identischer Beobachter reproduziert, blieb offen.
Zur gleichen Zeit stieß auch die Physik auf die Paradoxie des Beobachtens. Zunächst erkannte Albert Einstein, dass das Bestimmen physikalischer Wirklichkeit von der Position des jeweiligen Beobachters im Raum und in der Zeit abhängt; anders gesagt: Der Beobachtende ist es, der mit seiner physischen Gegenwart Raum und Zeit in Relation setzt. Einstein ging noch fest davon aus, dass es dennoch prinzipiell möglich ist, physikalische Wirklichkeit mathematisch (d. h. beobachterunabhängig) abzubilden. Mit Heisenberg wurde dann aber klar, dass der Versuch, atomare Vorgänge zu bestimmen, notwendig eine fundamentale Unbestimmtheit erzeugt. Erst, wenn ein Beobachter mit einer bestimmten Fragestellung das Beobachtete a) technisch misst und b) das Resultat in anschlussfähiger Sprache beschreibt, hat er das vor Augen (bzw. emergiert das), was wir „Wirklichkeit“ nennen. Auch in der Physik blieb die Frage nach der paradoxen Identität des Beobachters offen, sie ist es für sie bis heute. Wer behauptet, Quantenmechanik zu verstehen, so Bohr, hat sie nicht wirklich verstanden.
In der Mathematik bewies dann Kurt Gödel, dass alle hinreichend stark widerspruchsfreie Systeme notwendig Aussagen enthalten, die sich weder beweisen noch widerlegen lassen – es braucht einen menschlichen Beobachter, der entscheidet und seine Entscheidung nachvollziehbar begründet.
Norbert Wiener zeigte schließlich, dass das, was ein menschlicher Beobachter tut – nämlich prinzipiell Unentscheidbares entscheiden und in Komplexität navigieren – grundsätzlich auf kybernetische Maschinen übertragen werden kann, d. h. auf Maschinen, die das, was für sie DA IST, rekursiv und rekurrent mit dem verknüpfen, was DA SEIN SOLL Der menschliche Beobachter bleibt dabei allerdings noch außen vor, d. h.es bleibt ihm überlassen den Algorithmus und den Zweck der Maschine zu bestimmen. Heinz von Foerster unterschied daher von dieser „Kybernetik beobachteter Systeme“ eine „Kybernetik beobachtender Systeme“ (Kybernetik zweiter Ordnung), bei der der Beobachter sich selbst als Teil des beobachteten Systems beobachtet. .
Es war dann der Geniestreich des Biologen Humberto Maturana, lebende Systeme als „autopoietisch“ organisiert zu beobachten, d. h. als Systeme, die mit eigenen Mitteln und aus eigener Kraft ihre je eigene Wirklichkeit erzeugen – was sie aber nur soweit und nur solange können, wie sie sich (paradoxerweise) gleichzeitig so in eine Umwelt (ihre „Nische“) einbetten, dass sie ihre autopoietische Organisation (re)produzieren.
Maturana konnte das allerdings nur für die biologische Seite des Mensch-Seins plausibel machen – für die gesellschaftliche Seite tat das dann Niklas Luhmann. Der Begriff des Beobachters blieb so erst einmal unklar. Systemtheorie kann ihr erkenntnistheoretisches Potential bisher nicht voll ausschöpfen, weil sie sich schwer damit tut, ihren Kern, eben den Begriff des Beobachters, konsistent – und das heißt: öko-logisch – zu formulieren.
Auf der einen Seite konstruiert Maturana den Beobachter als sinnlich–körperliches Wesen, das seine Identität kin-ästhetisch (bewegend/wahrnehmend) und in sprachlich vermittelter konsensueller Verhaltenskoordination gewinnt. Auf der anderen Seite konstruiert Luhmann ihn als gesellschaftliches Wesen, das seine Identität in der Form und im Medium von Sinn gewinnt, d. h. in iterativem Verknüpfen von Handeln und Erleben und in Kommunikation. Zu einer gemeinsamen Sprache haben sie seinerzeit nicht gefunden; zwischen ihren Schülern herrscht weitgehend Schweigen.
Was es braucht, ist eine formale Beobachter-Logik. Und eben dazu können wir heute, nach Einstein und Heisenberg, nach Gödel und nach N. Wiener Kant mit neuen Augen lesen, seine Intention wieder aufnehmen und versuchen, die Frage nach dem Menschsein auf neue Weise zu formulieren.
Von seiner formalen Logik her aufgefasst, meint Beobachten eine doppelte, in sich paradoxe Anweisung an einen Beobachter, nämlich…
(vgl. dazu die beiden Diagramme A und B):
a) eine beliebige, ihm zu-fallende Folge von Ereignissen (Tönen, Bewegungen, Gerüchen, Geschmäcken, Berührungen oder Vorstellungen/Gedanken) als Inhalt zu fokussieren (d. h. sie von einem leer bleibenden Hintergrund zu unterscheiden), die emergierende, ungeordnete Vielfalt der Ereignisse in sein sinnliches Anschauen aufzunehmen und sie – mimetisch/kin-ästhetisch – zu einer komplexen Einheit zu verbinden, um mögliche Zukünfte vorzustellen und bestimmen (= entscheiden) zu können, was aktuell der Fall sein soll.
Bei Kant heißt das: „Synthesis der Apprehension in der Anschauung“ (KrV A 98f).
In Zeichenform: O O O = O
Die Anweisung lautet im Einzelnen, …
1) Ereignisse blind zu sammeln, d. h. sie „ohne alles Interesse“[1] neben- und nacheinander anzuordnen/aufzulisten; sie
2) mimetisch, d. h. ohne sich einen Begriff zu machen[2], sukzessiv zu einer Bild-Form zu verdichten (kondensieren), d. h. zu einer Einheit, die Komplexität raum-zeitlich in sich ein-faltet, um…
3) virtuell (in Form einer komplexen Karte) eine Vielfalt anschlussfähiger Zukünfte vor-sich-zu-stellen und so …
4) aktuell bestimmen (= entscheiden) zu können, was der Fall, also wirklich sein soll.
Das heißt, der Beobachter kann sich selbst als Quelle von Wirklichkeit beobachten. Dann (und nur dann) kann er – vergleichbar mit dem Echolot einer Fledermaus – sein Beobachten fortlaufend an dem jeweiligen Bild orientieren, ohne befürchten zu müssen, sich in logischen und/oder empirischen Widersprüchen zu verfangen.
„Ereignis“ meint ein elementares Geschehen, das blind, d. h. scheinbar ohne „wirklich“ Raum und Zeit zu verbrauchen (und so den Systemzustand zu verändern), räumlich-zeitliche Relationen bündelt. Wirklichkeit konstituiert sich im Verketten von Ereignissen.
„Komplex“ meint: die der Anschauung möglichen Verbindungen folgen keiner dem Beobachter bekannten Regel; es gibt (bisher?) keinen Algorithmus für sie.
„Einbildungskraft“ meint das (wie auch immer als empirisch möglich denkbare) Vermögen des Beobachtenden, nicht anwesende (nicht „wirkliche“) Gegenstände in der Anschauung so vor-sich-hin-zustellen, dass zufallende Ereignisse sich fortlaufend zu Gegenwart verketten können.
Aber: „Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (Kant, KrV B 76).
Damit ein-gefaltete Komplexität sich ent-falten und der Beobachter auch faktisch zur Quelle von Wirklichkeit werden kann, muss er zugleich (!) …
b) …versuchen, die (emergierende)Wirklichkeit zu kontrollieren und bestimmen (= fest-stellen) können, was aktuell der Fall ist.
Bei Kant heißt das: „Synthesis der Reproduktion in der Einbildungskraft“. (KrV A 100)
in Zeichenform: O = O O O
Dazu muss der Beobachter …
1) Ereignisse blind (= ohne wahrnehmbar Zeit zu verbrauchen) mittels Einbildungskraft unter ein a priori gegebenes (d. h. in der Vergangenheit produziertes) Schema (ein binär konstruiertes Bild) subsumieren,
2) das Schema virtuell in Form einer komplexen Karte anschlussfähiger Vergangenheiten reproduzieren (= „sich erinnern“), um
3) mittels eines Zeichens (einer Geste oder einem Wort, z. B.: „Diese Tonfolge ist Musik und kein Krach“) zu bestimmen (= fest-stellen) zu können, was aktuell der Fall ist – und es zugleich
4) mimikry-artig (= täuschend ähnlich) als wirklich zu bestätigen (konfirmieren). Nur so kann der Beobachter damit rechnen (= erwarten), dass er das Zeichen in allen Kontexten verlässlich wieder-erkennen und wieder-verwenden kann.
Aber: „Gedanken ohne Inhalt sind leer“, sagt Kant (KrV B 46).
Das heißt, ob die Rechnung auch aufgeht, ob der Beobachter ein-gefaltete Komplexität in fortlaufender Gegenwart auch ent-falten kann, steht in den Sternen, d. h. es ist extrem unwahrscheinlich. Denn mit seinem Unterscheiden spannt der Beobachter notwendig immer auch einen unbestimmt bleibenden, als solchen nie erreichbaren Kontext auf (wie eine Katze, die ihrem Schwanz nachjagt, ohne ihn je zu fassen zu kriegen). Kant sagt daher bekanntlich, dass wir niemals wissen können, was die Dinge „an sich selbst“ sind.
Paradox ist die Anweisung, weil die Unterscheidung dem Beobachtenden den bezeichneten Gegenstand („Musik“) an-zeigt, zugleich aber auch auf seine (nie erreichbare) Grundlage zeigt. Mit anderen Worten: Die Tätigkeit des Unterscheidens ermöglicht überhaupt erst Beobachten – und macht es zugleich unmöglich (wie der berühmte Kreter, der alle Kreter, also auch sich selbst, als Lügner bezeichnet).
Damit verliert der Beobachtende scheinbar jeden Boden unter den Füßen. Um Gegenstände in fortlaufender Gegenwart als wirkliche zu bestimmen, ist er auf sich selbst zurückgeworfen und muss Wege finden, aus der Paradoxie „herauszuspringen“ und „ohne (vorgefertigtes) Geländer“ (H. Arendt) zu denken.
Descartes geriet, als ihm die Bodenlosigkeit menschlicher Erkenntnis bewusst wurde, in tiefe Angst und Verzweiflung; er entschied sich für eine radikale Trennung von Körper und Geist.
Uns heute erinnert die Paradoxie dagegen an die Heisenberg’sche Unbestimmtheitsrelation: Für uns als(ver-körperte, unvermeidlich Raum und Zeit einehmende/verbrauchende) Beobachter existieren atomare Teilchen nur in Möglichkeitsräumen, als Wahrscheinlichkeitsfelder. Als „Gegen-stände“ existieren sie (manifestieren sie sich) für uns erst dann, wenn wir sie – mittels Technik und (!) Sprache – in Raum und Zeit verorten.
Das bedeutet: Beim Hervorbringen von Wirklichkeit befindet sich der Beobachter einem doppelten Dilemma: Er balanciert oszillierend
(1) aktuell zwischen Quelle und Kontrolle von Wirklichkeit und
(2) virtuell zwischen Vorstellen anschlussfähiger Vergangenheiten und anschlussfähiger Zukünfte, …
wobei (1) und (2) zwar notwendig zusammengehören, d. h. sich komplementär ergänzen, sich zugleich aber auch immer schon gegenseitig voraussetzen.
Man könnte (mit M. Varga und I. Sparrer) auch von einem Tetralemma sprechen:
Weder (1) noch (2) ergeben für sich allein eine (er)lebbare Wirklichkeit.
Das Gleiche gilt für die Metaposition des unbestimmt bleibenden Kontexts (1. und 2. zugleich), aber auch für das Ignorieren des Kontexts (d. h. ihn als leer zu unterstellen).
Wir können nur kin-ästhetisch aus dem Tetralemma „herausspringen“, d. h. so, dass die Ereignisse sich spontan zu einem Fluss verbinden und wir wieder sicher auf dem Boden der Tatsachen landen.
Dazu brauchen wir die im Menschsein angelegte Fähigkeit des Rechnens.
Zum Errechnen komplexer Zusammenhänge müssen/können wir mathematisch in einer Art technischem Trick auf imaginäre Zahlen und die Einheit i zurückgreifen. Was sie (um mit Kant zu sprechen) „an sich selbst“ ist, können wir niemals wissen und daher auch nicht sagen.
Dennoch müssen wir – als ver-körperte, d.h. in Raum und Zeit existierende, zugleich (!) aber auch in-Sprache existierende Beobachter – uns die Einheit irgendwie anschaulich machen und sie benennen. Dabei scheint es erst mal egal zu sein, ob wir sie „imaginär“ nennen oder (mit Karl Valentin) „wrtlbrmft“.
Aber wenn wir unterschiedliche (Zeit-, Sach- und Sozial-)Verhalte in allen überhaupt als möglich denkbaren Kontexten als mit sich identisch wiedererkennen können wollen ( O O O = O ), ist das nicht mehr gleichgültig. Heisenberg und Bohr sind in ihren Gesprächen über Quantenmechanik immer wieder darauf zurückgekommen, dass reine Rechen-Technik sich unvermeidlich mit Sprache verknüpft.[3] Viele, Natur- ebenso wie Geisteswissenschaftler*innen, haben immer noch große Schwierigkeiten damit.
Das heißt: Beim Errechnen komplexer (= für uns unüberschaubarer) Zusammenhänge (ob es um Quantenmechanik geht oder um lebende Systeme) müssen wir eine beobachtende Instanz unterstellen und ihr ein Vermögen zu-sprechen, das wir gewöhnlich „Imagination“ nennen.
Für Systemtheorie heißt das,
1. den Beobachter kybernetisch zu konstruieren, d. h. als ein rekursiv-iteratives Verknüpfen von Kognition (= bestimmen, was der Fall ist) und Volition (= bestimmen, was der Fall sein soll);
…hier können wir heute (nach Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation) an Kant anknüpfen, dessen Intention es war (was leicht übersehen wird), theoretische Vernunft (Erkennen, was da ist) und praktische Vernunft (Erkennen was da sein soll) aus einem Prinzip heraus zu verstehen.
2. dem in-Sprache operierenden Beobachter Einbildungskraft zuzu-sprechen;
bzw. Organismen „bildende Kraft“ zuzu-schreiben, d. h. eine Kraft, „die sie den Materien mitteilt, welche (diese) nicht haben (sie organisiert)“(KUK § 65, A 289) und
3. nicht nur mit markierten und nicht markierten (leeren) Formen zu rechnen, sondern auch mit unbestimmten und imaginären (R. Peyn: uFORM iFORM).
[1] Eines der vier Merkmale, mit denen Kant in der Kritik der Urteilskraft das Schöne bestimmt.
[2] Ein zweites Merkmal des Schönen.
[3] W. Heisenberg (1981): Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik.